Gagaku und Bugaku: Höfische Musik und höfischer Tanz

Gagaku und Bugaku: Höfische Musik und höfischer Tanz
Gagaku und Bugaku: Höfische Musik und höfischer Tanz
 
Die traditionelle japanische Musik ist gekennzeichnet durch monophon ausgeführte Melodien ohne harmonische Begleitung und einen hoch differenzierten Einsatz von Mikrotönen, Klangfarben und komplexen Rhythmen. Primär eine Einheit aus Musik, Wort und Tanz, umfasst die japanische Musik aber auch reine Instrumentalmusik und hat ihren größten Formenreichtum auf dem Gebiet der Vokalmusik entwickelt.
 
Die traditionelle Hofmusik Japans heißt Gagaku (ga = vornehm, edel; gaku = Musik) und ihre Unterabteilung, die zugleich Tänze begleitet, Bugaku (bu = Tanz). Beide gehen zum großen Teil auf die Kunstmusik der Heian-Zeit (794 bis 1185) zurück. Diese hat sich wiederum aus verschiedenen Traditionen entwickelt, die seit dem 5. Jahrhundert vom asiatischen Festland nach Japan gelangt waren. Bereits 453 entsandten die im heutigen Korea liegenden Staaten Silla, Paekche und Koguryŏ (japanisch Koma) Musiker nach Japan, und im Jahr 726 führte ein buddhistischer Mönch Musik indischer Herkunft ein. Am gewichtigsten aber waren die Anleihen von der Musik aus dem China der Tang-Zeit (619 bis 907), Tōgaku (tō = japanisch für Tang) genannt. Sie vereinigte wiederum Elemente aus einem großen Teil Asiens in sich, sodass ein entsprechend internationaler Stil nach Japan gelangte. Für die eingeführten Musikstile übertrug man aus dem Chinesischen die Zeichen für die »vornehme«, die Ya-Musik, die in China für die konfuzianische Sakralmusik stehen. Man übernahm aber nicht die entsprechende kultische Musik, da in Japan der Shintoismus bereits fest verankert war und über seine eigene religiöse Musik verfügte, sondern vielmehr die Bankett- und höfische Unterhaltungsmusik. In Anlehnung an das chinesische Musikamt gründete man 701 das Amt für »vornehme Musik«. Es wurde zuständig für die Musik bei Hofzeremonien und bei buddhistischen Feierlichkeiten an den großen Tempeln in Kyōto, Nara und Osaka. Im Jahr 752 sorgte es für die musikalische Umrahmung der grandiosen Einweihungszeremonie, der Öffnung der Augen des großen Buddha Daibutsu im Tōdaiji-Tempel in Nara. Bei dieser bedeutenden Feier, zu der Vertreter buddhistischer Länder aus westlichen Gebieten bis Indien anreisten, führten Hunderte von Musikern und Tänzern vermutlich unter der Leitung eines indischen Brahmanen buddhistische Musik, Gigaku genannt, und Bugaku auf.
 
Von den Instrumenten, die bei diesem Fest erklangen, werden noch heute 75 Exemplare im kaiserlichen Schatzhaus Shōsōin aufbewahrt, das KaiserShōmu im 8. Jahrhundert. in Nara errichten ließ. Die Musikinstrumente sind, wie auch die anderen über 9 000 Stücke der Sammlung, in sehr gutem Erhaltungszustand. Neben den Beispielen aus Japan finden sich auch seltene Instrumente aus China, Korea, Indien, Zentralasien und Persien, die zum Teil in ihren eigenen Ländern nicht mehr vorhanden sind. Außerdem spiegeln sie die panasiatische Vielfalt der Gagaku-Hofmusik im 8. Jahrhundert wider.
 
Anfang des 9. Jahrhunderts hatten sich derartig viele fremdländische Musikstile eingebürgert, dass die Musiker, um den Überblick nicht zu verlieren, gezwungen waren, das Repertoire zu ordnen. Einher mit dem Kategorisieren ging ein Standardisieren und »Japanisieren« sowohl der Instrumentalbesetzung als auch der Stücke. Die vielfältigen Stilrichtungen fasste man zusammen und ordnete einen Großteil Tōgaku zu. Das älteste bislang entdeckte Tōgaku-Stück, das in Notation überliefert ist, heißt »Gogen Kin-fu«. Es stammt aus dem Jahr 842 und ist für eine fünfsaitige Biwa-Laute geschrieben. Alte Gagaku-Manuskripte fand man in den letzten Jahren vor allem in Kyōto, in der Palastbibliothek in Tokio sowie in verstreuten Privatsammlungen alter Adelsfamilien.
 
Vom 9. Jahrhundert an stand Gagaku nicht nur im Mittelpunkt des höfischen Zeremoniells, sondern auch der privaten Unterhaltung des Adels und des Kaisers. Es finden sich zahlreiche Beschreibungen vom Musizieren zum Vergnügen in kleinem Kreis, so auch im »Genji-monogatari« (Geschichte vom Prinzen Genji, verfasst um 1010). Im 12. Jahrhundert verfiel die »echte« Gagaku-Musik und verlagerte sich in die Tempel und Schreine. Die Zerfallserscheinungen veranlassten möglicherweise den MusikerKoma Chikazane im Jahr 1233, in seinem Werk »Kyokunsho« die Spielweise für die Tanzstücke festzuhalten. Nach der Zerstörung von Kyōto 1467/68 fanden die Gagaku-Hofmusiker Anstellungen an den großen Tempeln in Nara und Osaka. Gegen Ende des 16. Jahrhunderts, als man sich auf die Hofzeremonien zurückbesann, wurden die Nachkommen der traditionellen Musiker wieder nach Kyōto zurückberufen. In der Tokugawa-Zeit (1603-1868) stellte der Shōgun jeweils einige Nachfahren der ehemaligen Musiker des kaiserlichen Orchesters an seiner Burg in Edo an. Auch gab es unter den Feudalherren und Gelehrten zuweilen Gagaku-Liebhaber, die den alten Kunstmusikstil noch weiter pflegten. Doch erst nach dem Ende der Tokugawa-Zeit fanden sich die über das Land verstreuten Angehörigen der Gagaku-Gilden wieder im Kaiserpalast der Hauptstadt Edo zusammen. Nach der Meiji-Restauration 1869 formierten sie sich neu zum kaiserlichen Hoforchester, das heute noch etwa 25 Musiker zählt. Ihr Repertoire besteht derzeit aus 49 Tōgaku- und 14 Komagaku-Stücken.
 
Die Gagaku-Hofmusik umfasst verschiedene Gattungen mit unterschiedlichen Besetzungen. Ihre Instrumentalmusik gliedert sich in Kangen und Bugaku. Kangen, die reine Instrumentalmusik, geht auf bestimmte Formen von Hausmusik der Aristokraten in der Heian-Zeit zurück und weist die folgenden Instrumente auf: Mundorgel Shō mit 17 Pfeifen, von denen zwei stumm sind und zumeist sechs Pfeifen gleichzeitig erklingen; Bambusquerflöte Ryūteki mit sieben Grifflöchern; Oboe Hichiriki; Wölbbrettzither Gaku-sō mit 13 Saiten und Stegen; Laute Gaku-biwa mit vier Saiten und vier Bünden; kleine zweifellige Trommel Kakko; große zweifellige Trommel Taiko; kleiner Gong Shōko.
 
Bugaku ist ein Überbegriff für sämtliche Musikformen, die Tänze begleiten. Sie ist unterteilt in Links- und Rechtsmusik. Die Linksmusik umfasst Tōgaku aus China und Rinyūgaku aus Südostasien, die Rechtsmusik Komagaku aus Korea und Bokkaigaku aus der Mandschurai. In der Linksmusik verwendet man dieselben Instrumente wie in Kangen mit der Ausnahme, dass man die Saiteninstrumente in Bugaku meist weg lässt und die Taiko nach Möglichkeit durch die Dadaiko (große Taiko) ersetzt. In der Rechtsmusik spielt man die Bambusquerflöte Komabue anstelle von Ryūteki und die Sanduhrtrommel Sanno Tsuzumi statt der kleinen Fasstrommel Kakko.
 
Neben der reinen Instrumentalmusik und der Tanzmusik umfasst Gagaku auch Vokalstile. Mikagura, wörtlich »Musik für die Götter«, erklingt in shintoistischen Ritualen am Kaiserhof und an einigen auserwählten Schreinen. Die Zeremonien vereinen Relikte alter schamanistischer Praktiken mit der Verehrung des Kaisers als Vermittler zwischen Göttern und Menschen. Einigen Gesängen sind Texte unterlegt, die mit zu den ältesten erhaltenen japanischen Gedichten zählen. In einfacher, ausdrucksvoller Weise preisen sie die Natur und die unsterblichen Mächte. Die Lieder werden von zwei Gruppen im Wechselgesang vorgetragen und begleitet von Hichiriki, der sechssaitigen Wölbbrettzither Wagon, der Bambusquerflöte Kagurabue und zwei Schlagholzpaaren Shakubyōshi in den Händen der beiden Vorsänger. Bereits aus dem Jahr 773 ist überliefert, dass der Kaiserhof Mikagura-Musiker verpflichtete.
 
Nahe verwandt mit Mikagura ist die Gattung Azuma Asobi, bei der in Shintō-Ritualen dieselben Instrumente wie in Mikagura Gesänge und Tänze begleiten. Ohne Tänze werden die kunstvollen Saibara-Gesänge aufgeführt. Ursprünglich Volkslieder, haben sie in der Hofmusik eine hochstilisierte Form angenommen. Sie werden begleitet von Shō, Ryūteki, Hichiriki, der dreizehnsaitigen Wölbbrettzither Gaku-sō (später auch Sō-no-Koto genannt), der viersaitigen Laute Gaku-biwa und den hölzernen Klappern Shakubyōshi. Die Vokalform Rōei basiert auf chinesischen Gedichten mit entsprechenden Metren und Reimschemata, wird aber in japanischer Sprache vorgetragen und weist dieselbe Instrumentation wie die Saibara auf. Bei der um 1000 aufgekommenen Liedform Imayō dienen vorwiegend buddhistische Sutren als Texte. Ihre Melodien hat man dem Gagaku-Stil angeglichen.
 
Tonsysteme, Skalen und Modi für Gagaku sind zum Großteil von China übernommen, dann aber modifiziert worden. Wie in der chinesischen Hofmusik geht man von einer absoluten Tonhöhe aus und unterteilt die Oktave in zwölf Halbtöne. In Tōgaku, Komagaku und Mikagura verwendet man drei unterschiedliche Tonsysteme. In Tōgaku und in Komagaku wählt man von den zwölf Tönen jeweils sieben Stufen für drei fundamentale Modi aus. Sie werden Chōshi genannt und sind nicht nur durch bestimmte Intervallfolgen, sondern auch durch spezifische Verzierungen charakterisiert. In der Mikagura-Musik bilden Tetrachorde die Strukturelemente der Melodien.
 
Trotz des großen Einflusses der westlichen Musik in Japan konnte die in hohem Maß stilisierte, eine unendliche Ruhe ausstrahlende Gagaku-Hofmusik überleben.
 
Dr. Gretel Schwörer-Kohl
 
 
Elisseeff, Danielle und Elisseeff, Vadime: Japan. Kunst und Kultur. Ins Deutsche übertragen von Hedwig und Walter Burkart. Freiburg im Breisgau u. a. 21987.

Universal-Lexikon. 2012.

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